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Ein-Blick in die Gegenwart

AUSSTELLUNGEN

Werfen Sie gemeinsam mit Dr. Jörg Daur, Kustos für moderne und zeitgenössische Kunst, einen Blick auf die Gegenwartskunst. Im Hintergrund: Gerhard Richter, „Terese Andeszka"

Am Ausgang der Lebensmenschen werden unsere Gäste von großen Namen der deutschen Kunstgeschichte in Empfang genommen — geradezu erwartet, möchte man hier sagen!

„Die jungen Jahre der Alten Meister“ titelte die Staatsgalerie Stuttgart frech vor Jahresfrist und zeigte Werke von Baselitz, Richter, Polke und Kiefer.

Und ja, auch hier warten Georg Baselitz und Gerhard Richter mit frühen Arbeiten, dazu Eugen Schönebeck und Jörg Immendorff. Man sollte seine Gäste da abholen, wo sie stehen und deshalb war es mir ein Anliegen, dies nicht nur wortwörtlich zu nehmen: nämlich im Oktogon der Galerie, sondern auch im Sinne dieser Klassiker der bundesdeutschen Kunstgeschichte. Was würde besser an eine Ausstellung zur Klassischen Moderne anschließen…

Jedenfalls bieten die vier alten Herren in ihren jungen Jahren eine lebendige, frische Auseinandersetzung mit der Malerei — expressiv, frech, zeitgeschichtlich relevant und nicht zuletzt wieder einigermaßen gegenständlich, hatte doch die Nachkriegsavantgarde in weiten Teilen zunächst ausschließlich auf die informelle Geste und das abstrakte Bild gesetzt. Und ein wenig scheint dies in Baselitz‘ Stilleben noch durchzuklingen, spritzt er doch all-over grüne Farbe über seine Malerei, die dadurch befleckt, verschmiert (vielleicht sogar verneint?) erscheint und eben (noch) nicht zwingend überkopf entworfen und gezeigt werden muss. Sein guter Freund Schönebeck bringt das Grauen der Naziverbrechen ins Bild, nicht direkt, aber im Gestus des vernagelten Kopfes, der eben nicht sprechen kann von dem, was eigentlich aus dem Mund ihm quellen will.

Über Richter ist viel gesagt, daher hier nur der Hinweis, dass gerade das schwarzweiße Zeitungsmotiv, das ihm zur Vorlage seiner „Terese Andeszka“ diente, sich in besonderer Weise in Malerei verwandelt, eben weil hier Sichtbarkeit zugunsten einer malerischen Geste und Qualität aufgegeben wird. Und zuletzt zeigt uns Immendorff seinen „Nichtschwimmer“ im Wasser, der quasi bestimmungsgemäß auf den Grund des Gewässers sinken muss, den Hut der Nachkriegszeit fest auf dem Kopf — oder wird hier gar sein Lehrer und Mentor Joseph Beuys im Bild zitiert?

An Immendorff vorbei treten wir in den großen Saal zu Andy Warhol, die amerikanische Moderne im Blick. Scheinbar industrielle Malerei, Siebdrucke, und am Ende doch mit dem Pinsel übermalt. Schatten im Bild als Bildgegenstand, flüchtig, wie die malerische Geste selbst, die festgehalten in Farbe auf Leinwand doch für alle Zeiten konserviert bleiben soll. Auch Warhol suchte den Neubeginn in der Malerei. Wie seine Kollegen in Deutschland hilft er dem „Image“ als Pop in den 1960er Jahren wieder ins Bild. Zugleich aber fasziniert ihn die Wiederholung, das Serielle. Die amerikanische Pop-Art als Parallelbewegung zur annähernd zeitgleichen Minimal Art, die ebenso auf Wiederholung, klare und prägnante Formen, aber eben noch dezidierter auf industrielle Produktion setzte.

Im Spannungsfeld dieser Kunstrichtungen fand auch Eva Hesse Mitte der 60er Jahre zu ihrer ganz eigenen Ausdrucksweise. Den „Durchbruch“ in den Raum und damit letztlich auch auf dem Kunstmarkt bereitete sie bezeichnenderweise jedoch — abseits des New Yorker Kunstbetriebs — während eines „Auslandsjahrs“ in Deutschland vor. 1938 als Jüdin aus Deutschland geflohen — ihr Vater war Rechtsanwalt in Hamburg und ab 1933 mit Berufsverbot belegt — kehrte sie gut 25 Jahre später mit mulmigen Gefühlen nach Deutschland zurück; und fand hier doch die Ruhe (und den Fundus einer stillgelegten Textilfabrik), mit Materialbildern aus der Malerei über das Relief den Raum zu erobern. Poetisch anmutende Titel begleiteten diesen Schritt: „Eighter from Decatur“ oszilliert zwischen Glücksrad, Windspiel und knallbuntem Nonsense-Objekt, das geradezu danach zu schreien scheint, von der Betrachterin in Bewegung gehalten zu werden… (aber bloß nicht, keinesfalls anfassen, denken Sie dran, wir sind im Museum!)

Folgen Sie mir lieber in den nächsten Raum unseres Rundgangs, wo mit Robert Ryman ein weiterer Künstler Bilder aus den 60ern präsentiert. Kleine weiße Quadrate, eigentlich jedoch feinste Malerei auf Leinwand, zeigen in ihrer Reduktion und Konzentration das Wesentliche dieses Mediums. Weder knallig bunt noch gegenständlich und doch vielleicht gerade deswegen ganz dicht am Kern der Malerei. Jeder Strich, jede Technik des Auftrags gewinnt an Bedeutung, wo weder Farbe noch Form, ja nicht einmal das Format die Richtung vorgibt. Arbeit am Kern der Malerei beschäftigt auch die anderen in diesem Saal. Von Joanna Pousette-Dart, die mit dem Raum des Bildes experimentiert, mit Landschaft und Licht, die sich in Form und Farbauftrag manifestieren, bis hin zu Joseph Marioni, der dem monochromen Bild in seiner speziellen Farbräumlichkeit immer wieder bis aufs äußerste neue Facetten, um nicht zu sagen Farbschichten abringt.

(Werke: Robert Ryman: „Option 2001", 2001, Öl auf Leinwand / „Ohne Titel", 1965, Lackfarbe auf Leinwand / „Ohne Titel", 1965, Öl auf Leinwand / „Ohne Titel #2", 1965, Öl auf Leinwand. Joanna Pousette-Dart: „Banded Painting #4", 2016, Acryl auf Leinwand, dreiteilig.)

Malerei durch und durch, ganz auf sich bezogen, findet sich auch im nächsten Raum, dem letzten unseres Rundgangs: Otto Ritschl, ein Wiesbadener Maler, der zu Beginn der 60er Jahre mit seinen Gemälden international für Furore zeigt. Bereits 1955 auf der documenta in Kassel präsentiert fand er Anschluss an die Farbfeldmalerei seiner Kollegen in den USA. Mark Rothko, einer der bedeutendsten dieser Gruppe, bildet hier den Schlussstein unseres Einblicks in die Geschichte der Malerei unserer Zeit.

(Werk: Otto Ritschl: „Komposition 1967/25".)


Jörg DaurKustos für moderne und zeitgenössische Kunst

Translation: Lance Anderson

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